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Der Ozean hat Fieber! Die Erde bebt vor Wut! Die Luft erstickt!
„Alle Augen Staunen“ etabliert einen choreografischen Zugang zu Klima(-Wandel), Ökologie und nicht-menschlichen Lebensfor- men, der jene als beständige Prozesse von Transformation und Zirkulation, Werden und Vergehen, verhandelt. So entstehen vieldeutige Welten, die Staunen als Modus von Weltwahrnehmung verstehen. Zwischen Abstraktion und Figuration entfaltet sich der Theaterraum zu einem eigenständigen Ökosystem, dessen Grenzen über den Bühnenrand hinaus gehen und auf ihn zurückwirken. Vermittlung und Zusammensein sind elementare Bestandteile des Stücks, die alle erwachsenen und kindlichen Zuschauer:innen herausfordern, sich selbst als Teil eines zirkulierenden Systems zu erfahren und der eigenen Wahrnehmung, Phantasie und Fähigkeit zur Verwandlung zu vertrauen.
Auf der Bühne atmet, pulsiert, wuchert und vibriert es. Vor unseren Augen entsteht eine sich stetig wandelnde Landschaft, in der das Bühnenlicht den Boden zu Eisschollen werden lässt, sich der Sound in einer stillen Unterwasserwelt verfängt und die von der Decke hängenden Textilien im Wind der Bewegung schweben. Nach und nach häutet sich die Landschaft und drei Wesen werden sichtbar. Sie beginnen, die wundersam poröse Umgebung zu entdecken, sich in ihr zu bewegen, sie zu hinterfragen und stellen dabei fest, dass sie nicht alleine sind.„Alle Augen Staunen“ beschäftigt sich mit Umweltphänomenen wie z.B. Wettererscheinungen oder Erdrutschen, dem Zusammenspiel von Lebewesen und Natur und stellt sich die Frage nach gegenseitiger Verantwortung und Relevanz. Die Elemente des Theaterraums – Bewegung, Sound, Bühne und Licht – werden zu gleichberechtigten Akteur:innen eines größeren Ökosystems. Darin treten musikalische Klangschichten als Klimazonen auf, sind Farben und Formen verschiedenen Atmosphären und Temperaturschwankungen ausgesetzt und entfalten sich Bewegung und Choreografie als organische, zelluläre und amorphe Transformationen. Alle Augen Staunen lädt dazu ein, Ökosysteme in der Luft, an Land und unter Wasser mit allen Sinnen zu entdecken.
Was sehen wir, wenn wir unseren Augen (nicht) trauen? Und wovor lassen sich die Augen nicht verschließen? Wenn wir uns selbst als Teil eines größeren Organismus begreifen und anerkennen, dass Objekten wie Lebewesen ein Eigenleben inne wohnt, stellt sich auch die Frage: wer blickt auf wen zurück? Als Tanzstück für junges und erwachsenes Publikum versteht „Alle Augen Staunen“ den Theaterraum als Möglichkeit der Begegnung und des gegenseitigen Involviert-Seins. Wenn sich die Bühnenwelt auf einmal vom feurigen Rot ins kalte Blau färbt, kommt es vor, dass die eigene Phantasie eine kühle Brise erschafft, die sinnlich wahrnehmbar durch den Raum weht. Die textile und organische Landschaft, die wir in manchen Momenten beinahe atmen hören können, lässt alle Anwesenden und Beteiligten – Zuschauer:innen, Performer:innen, Techniker:innen, bewegte und unbewegte Objekte – gleichermaßen lebendig werden, beisammen und mitunter sogar mittendrin sein.hellerau.org